Ab sofort lassen sich die historischen Standorte des Städel Museums in den Jahren 1816, 1833 und 1878, die jeweiligen Präsentationsformen der Sammlung und damals ausgestellte Werke online betrachten und nachvollziehen. Die Ergebnisse langjähriger Forschungs- und Rekonstruktionsarbeit zur Sammlungs- und Präsentationsgeschichte des Museums im 19. Jahrhundert sind unter zeitreise.staedelmuseum.de frei zugänglich. Darüber hinaus können die Forschungsresultate mit einer eigens entwickelten App für die Virtual-Reality-Brille „Samsung Gear VR“ im Oculus Store kostenlos heruntergeladen und erlebt werden. Auf der Website zum Forschungsprojekt, das von Jochen Sander (Sammlungsleiter Deutsche, Holländische und Flämische Malerei vor 1800) geleitet wurde, können detailgenaue 3D-Rekonstruktionen der Präsentation der Städelschen Sammlung an ihren bisherigen drei Standorten erfahren werden: Das Privathaus des Museumsstifters Johann Friedrich Städel am Rossmarkt im Jahr 1816 wurde ebenso aufwendig rekonstruiert wie das 1833 als erstes eigenes Museumsgebäude bezogene Palais in der Neuen Mainzer Straße. Auch der 1878 eröffnete Neubau am Schaumainkai – bis heute Standort des Städel Museums – wird architektonisch mitsamt seiner ursprünglichen Sammlungspräsentation visualisiert. Zu jedem der sich damals im Bestand befindlichen Gemälde sind ausführliche Provenienzangaben, Informationen über die Verkaufs- bzw. Verlustgeschichte sowie relevante Inventareinträge und Texte aus ausgewählten Gemäldekatalogen des 19. Jahrhunderts verfügbar. Der aktuelle Forschungsstand wird zudem anhand von Einträgen aus wissenschaftlichen Bestandskatalogen ersichtlich. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, die Räume von 1878 am Schaumainkai aus der Innenperspektive virtuell zu durchlaufen. Dies kann entweder über ein kostenloses Programm für PCs oder über eine App für die Virtual-Reality-Brille „Samsung Gear VR“ geschehen, welche völlig neue Einblicke ermöglichen.

Das wegweisende Projekt macht deutlich, wie neueste technologische Entwicklungen für die Generierung und Aufbereitung kunsthistorischer Forschungsergebnisse zur Sammlungs- und Ausstellungsgeschichte auf ansprechende und gewinnbringende Weise nutzbar gemacht werden können. Diese Form einer zeitgemäßen und frei zugänglichen Forschungspräsentation zielt gleichermaßen auf ein Fachpublikum wie auf interessierte Laien ab.

„Die Erforschung von historischen Sammlungszusammenhängen ist in der Wissenschaft zu einer zentralen Fragestellung geworden. Mit der digitalen Darstellung der Sammlungspräsentationen in den Räumen des Städel im 19. Jahrhundert wird erstmals eine bedeutende bürgerliche Sammlung rekonstruiert, die nicht zuletzt zeigt, wie zeitgebunden unsere Sehgewohnheiten von Kunstwerken sind“, sagt Jochen Sander, stellvertretender Direktor des Städel Museums, Sammlungsleiter für Deutsche, Holländische und Flämische Malerei vor 1800 und Leiter des Forschungsprojekts.

Die VR-Umsetzung des Projekts „Zeitreise. Das Städel Museum im 19. Jahrhundert“ wird durch Samsung Electronics, Corporate Partner des Städel Museums, ermöglicht. Das Forschungsprojekt konnte mit zusätzlicher Unterstützung der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main realisiert werden.

„Virtual Reality hat sich durch Lösungen wie ‚Gear VR‘ schnell von einem scheinbar fernen Zukunftsthema zu einer praktischen Alltagstechnologie gewandelt, die uns völlig neue Erlebnisse und Einblicke ermöglicht“, sagt Martin Börner, Deputy President Samsung Electronics GmbH. „Das Städel zeigt mit der VR-App eindrucksvoll, wie Virtual Reality historische Zusammenhänge und wissenschaftliche Leistungen erlebbar macht.“

Dank der intensiven Forschungsarbeit des Städel können Besucher auf der Website in digitalen Raumrekonstruktionen die verschiedenen historischen Ausstellungsräume und Sammlungshängungen aus den Anfangstagen des Städel erkunden und dadurch die sich im Verlauf der Jahrzehnte wandelnden Präsentationsformen vergleichen bzw. die vielfältigen Veränderungen der Einrichtung genauer in den Blick nehmen. Das Forschungsprojekt wurde bereits in den 1990er-Jahren in der Abteilung „Alte Meister“ des Frankfurter Museums mit der Transkription der historischen Inventarbücher begonnen, die für die Rekonstruktion der Gemäldeprovenienzen im Zuge der Arbeiten für die wissenschaftlichen Bestandskataloge ausgewertet wurden. 2011/12 wurden diese – unter Berücksichtigung internationaler Standards – systematisiert und in eine Datenbank eingepflegt. Historische Dokumente wurden gesichtet und ausgewertet, um die genauen Präsentationen der Werke visualisieren zu können: Hängepläne, Inventarbücher, Galerieführer und Kataloge zeigen anschaulich, wie die Sammlung in den Jahren 1816, 1833 und 1878 präsentiert wurde. Die Website stellt des Weiteren wichtige Quellen digitalisiert zur Verfügung. Besonders hilfreich für die Rekonstruktion waren vier Ansichten, die 1835 die britische Künstlerin Mary Ellen Best (1809–1891) von den Räumen in der Neuen Mainzer Straße anfertigte, sowie die im Archiv des Städel Museums befindlichen Innenaufnahmen des Gebäudes am Schaumainkai. Auch die Ergebnisse der 2013 veröffentlichten Publikation „Die Geburt des bürgerlichen Kunstmuseums – Johann Friedrich Städel und sein Kunstinstitut in Frankfurt am Main“ der Kunsthistorikerin Corina Meyer flossen in die Forschung mit ein.

Forschungsstand barocke Bilderhängung
In den letzten Jahren ist das kunstgeschichtliche Interesse an historischen Sammlungszusammenhängen stark gewachsen. So wurden beispielsweise die historischen Präsentationen der Gemäldegalerien in Dresden, Kassel, Wien, Paris oder Düsseldorf analysiert, die jeweils fürstlichen Sammlungen des 18. Jahrhunderts entstammen. Mit der Rekonstruktion der Sammlungspräsentationen in den Räumen des Städel Museums im 19. Jahrhunderts kann nun erstmals ein bedeutendes Beispiel für eine bürgerliche Sammlung vorgestellt werden: Das Städel Museum, das 2015 sein 200-jähriges Bestehen feierte, ist die älteste deutsche Museumsstiftung bürgerlichen Ursprungs. Anders als die auf fürstliche Repräsentation ausgerichteten aristokratischen Sammlungen des 17. und 18. Jahrhunderts setzte das bürgerliche Städel von Anfang an auf eine durch das Bildungsideal der Aufklärung geprägte Kunstvermittlung in die Gesellschaft hinein. Kunstgeschichtliche Bedeutung, nicht zeremonielle Selbstdarstellung, bestimmt nun die Bildauswahl und Werkpräsentation. Eben diese neuen Ideale fanden ihren Ausdruck auch in der räumlichen Anordnung der Kunstwerke, die jetzt durch die komplexe Visualisierung der Raum- und Hängestruktur mithilfe von 3D-Rekonstruktionen erstmals plastisch nachvollziehbar wird.

Wie die Rekonstruktionen visuell eindrücklich zeigen, machte die damalige symmetrische Galeriehängung die Wände selbst zum Kunstwerk: Die Bilder wurden auf farbigen Wänden dicht an dicht an einer imaginären mittleren Raumachse in vertikalen Bahnen und horizontalen Registern angeordnet. So konnten Gegenstücke in spiegelbildlicher Positionierung direkt visuell aufeinander bezogen werden. Diese opulente wie ebenmäßige, als harmonisch geltende Gemäldepräsentation, die unmittelbar zum Bildvergleich herausforderte, sollte nicht nur im Städel bis um 1900 als der „Königsweg“ der Kunstvermittlung betrachtet werden. Erst im beginnenden 20. Jahrhundert setzte sich die heute gebräuchliche Hängung durch, bei der das Einzelwerk auratisch für sich wirken sollte. Höhepunkt dieser inzwischen auch bereits von der Museums- und Ausstellungspraxis wieder überholten Entwicklung war das Präsentationsideal des White Cube. So zeigt die „Zeitreise“ nicht zuletzt auf, wie zeitgebunden unsere Sehgewohnheiten von Kunstwerken sind.

Ein neuer digitaler Baustein des Städel Museums
Die Rekonstruktion der historischen Hängungen der Städelschen Sammlungen unter zeitreise.staedelmuseum.de ist Teil des vielschichtigen digitalen Angebots des Städel. Die Frankfurter Institution setzt innovativ Kernaufgaben des Museums wie Vermittlung und Forschung mit den Möglichkeiten der Digitalisierung um. Auf diese Weise wird mit neuartigen Technologien und Erzählformen parallel zum physischen Museumsbesuch ein frei zugängliches Angebot entwickelt und stetig ausgebaut, das den Wirkungskreis der Institution unabhängig vom Ort beträchtlich erweitert und für unterschiedlichste Zielgruppen neue Zugänge schafft. Die Angebote umfassen alle Bereiche der Museumsarbeit wie Restaurierung, Ausstellungsgestaltung oder die Erfassung von Sammlungswerken, sodass sämtliche Aufgaben der Institution – Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen und Vermitteln – von digitalen Innovationen profitieren. So wurde beispielsweise zuletzt Mitte März 2016 auf onlinekurs.staedelmuseum.de ein umfassender kostenfreier Onlinekurs zur Kunstgeschichte von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart zugänglich gemacht, der neue Akzente im Bereich Bildung im Netz setzt.

Das Forschungsprojekt „Zeitreise. Das Städel Museum im 19. Jahrhundert“ erfolgt in Kooperation mit der Städel Kooperationsprofessur am Kunstgeschichtlichen Institut der Goethe Universität Frankfurt.

FORSCHUNGSPROJEKT „ZEITREISE. DAS STÄDEL MUSEUM IM 19. JAHRHUNDERT“

Wissenschaftliche Projektleitung: Prof. Dr. Jochen Sander, stellvertretender Direktor und Sammlungsleiter Deutsche, Holländische und Flämische Malerei vor 1800
Wissenschaftliche Mitarbeit: Dr. Almut Pollmer-Schmidt, Yannic Jäckel

URL: zeitreise.staedelmuseum.de
Download des Programms und der App für die VR-Brille unter: zeitreise.staedelmuseum.de/vr-app/
Technische Voraussetzungen: Das Webspecial „Zeitreise“ kann auf Computern und Tablets genutzt werden und ist für die Ansicht in modernen Browsern optimiert. Die VR-App ist für die Endgeräte Samsung Galaxy S7, S7 edge, Galaxy S6, S6 edge, S6 edge+ und Galaxy Note 5 konzipiert.

Förderer: Samsung Electronics (VR-App), Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main (Forschungsprojekt)
Programmierung und Gestaltung der Website: Zum Kuckuck, Würzburg
Programmierung der VR-App und des PC Programms: NMY

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