Das Städel Museum beleuchtet in der Ausstellung „Fantastische Welten. Albrecht Altdorfer und das Expressive in der Kunst um 1500“ vom 5. November 2014 bis zum 8. Februar 2015 wesentliche Neuerungen in der Kunst im Europa des frühen 16. Jahrhunderts, die zu dieser Zeit überraschend modern wirkende Erscheinungsformen annimmt. Anhand von 120 Exponaten wird anschaulich, wie eine ganze Generation von Künstlern um 1500 die Gattungen Landschafts- und Historienbild sowie Porträt neu formuliert. Fernab von einer naturgetreuen Wiedergabe entsteht ein innovatives, expressives Zusammenspiel von Lichteffekten, überschwänglicher Farbgestaltung sowie grotesker Formen und Posen – und das in allen Gattungen: Malerei, Skulptur, Druckgrafik, Zeichnung und Buchmalerei. Ausgehend von den Künstlern Albrecht Altdorfer (um 1480–1538), Wolf Huber (um 1485–1553), dem Passauer Bildschnitzer Meister IP (tätig bis nach 1520) und Hans Leinberger (dokumentiert in Landshut, 1510–1530) wird das Phänomen des „Expressiven“, das für die Künstler der sogenannten Donauschule zentral ist, erstmals in einen gesamteuropäischen Kontext gestellt. Die Werke Altdorfers, Hubers, Leinbergers und des Meisters IP werden hierfür gezielt mit Arbeiten von Zeitgenossen wie Lucas Cranach d. Ä. (1472–1553), Hans Leu (um 1490–1531) oder Albrecht Dürer (1471–1528) konfrontiert. Die Ausstellung verdeutlicht, dass ihr Schaffen in einem weiteren, europäischen Bezugsrahmen zu betrachten ist, denn zeitgleich mit den Künstlern des Donauraumes bedienen sich auch Künstler in den Niederlanden, am Nieder- und Oberrhein, in der Schweiz und in Oberitalien, in Böhmen, Polen oder Norddeutschland einer unmittelbar vergleichbaren Bild- und Formensprache. Diese wird den Besuchern in der Frankfurter Ausstellung in einer medialen und thematischen Vielfalt vor Augen geführt, wie sie zuvor noch nicht zu sehen war.

Gefördert wird die Sonderausstellung durch den Kulturfonds Frankfurt RheinMain und die Sparkassen-Finanzgruppe. Zusätzliche Unterstützung erfährt sie durch die Art Mentor Foundation Lucerne.

Bei dem Projekt handelt es sich um eine Ausstellung des Städel Museums, der Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main, und des Kunsthistorischen Museums Wien, in Zusammenarbeit mit dem Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas e.V. an der Universität Leipzig.

Nach Ende der Ausstellungslaufzeit im Städel wird die Schau vom 17. März bis 14. Juni 2015 im Kunsthistorischen Museum Wien zu sehen sein.

Knapp 50 Jahre nach der letzten umfassenden Präsentation zur Kunst der „Donauschule“ und 30 Jahre nach der letzten großen thematischen Ausstellung über Altdorfer beleuchtet die Sonderausstellung im Städel Museum anhand von markanten Spitzenwerken das Phänomen des Expressiven in der Kunst um 1500 in all seinen thematischen, künstlerischen und medialen Facetten und ermöglicht einen neuen, ganzheitlichen Blick auf diese nicht allein auf den Donauraum beschränkte Stilentwicklung. Die herannahende Reformation hatte den Künstlern der damaligen Zeit insbesondere im Feld der religiösen Darstellungen völlig neue Gestaltungsfreiräume eröffnet, die sich jedoch schon bald wieder schließen sollten. Denn nach der beendeten Konfessionalisierung verzichtete die protestantische Seite auf bestimmte Bilder gänzlich, während die katholische Kirche wieder verstärkt auf ikonografische Verbindlichkeit bestand. So existierten in der Kunst um 1500 noch narrative Spielarten, die im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts in dieser Form nicht mehr denkbar waren.

Die Ausstellung konfrontiert bewusst all jene Kunstgattungen um 1500 miteinander, an denen sich spezifisch expressive Tendenzen ablesen lassen. Dabei bilden zahlreiche Gemälde und Grafiken der Städelschen Sammlung sowie skulpturale Exponate der Liebieghaus Skulpturensammlung die Basis, ergänzt durch bedeutende Leihgaben weiterer Museen; unter anderem werden Schlüsselwerke des Kunsthistorischen Museums Wien, der Alten Pinakothek und des Bayerischen Nationalmuseums in München, der Prager Nationalgalerie, der Skulpturensammlung und der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, der Graphischen Sammlung der Universitätsbibliothek Erlangen, des Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid oder des Szépművészeti Múzeums in Budapest zu sehen sein. Zudem konnten zahlreiche Leihgaben aus kirchlichem Besitz für die Ausstellung gewonnen werden, wie etwa das Johannesretabel aus der Prager Teynkirche (1520er-Jahre) oder Gemälde aus dem Augustinerchorherrenstift St. Florian in Linz. Mit der Präsentation setzt das Städel die Folge seiner großen Ausstellungen zur Kunst der Frühen Neuzeit, wie zuletzt zu Albrecht Dürer, fort.

Die Ausstellung ist thematisch in sechs Abschnitte gegliedert. Zu Beginn widmet sich die vorgeschaltete Sektion „Weltenlast, Naturgewalten: Bilder des hl. Christophorus“ einer der am häufigsten wiedergegebenen Heiligengestalten im Spätmittelalter. Bilder des hl. Christophorus, der den Christusknaben auf den Schultern über einen Fluss trägt, schmückten nicht nur Kirchenwände oder Altarretabel in Form von Gemälden oder Skulpturen, sondern wurden auch massenhaft als Druckgrafiken für den Hausgebrauch verbreitet. Albrecht Altdorfer, Wolf Huber und Georg Lemberger stellen den hl. Christophorus in einer bis dahin unbekannten Weise dar. In bizarr überzeichneter Form bringen sie in ihrer Kunst die enorme Last zum Ausdruck, die der Heilige mit dem Christuskind auf seinen Schultern trägt.

Im ersten Saal des Ausstellungshauses werden die vier führenden Künstler des Donauraumes mit einer Auswahl zentraler Werke vorgestellt: Albrecht Altdorfer, Wolf Huber sowie die Bildhauer Meister IP und Hans Leinberger. Dabei wird das Thema „Bilder des Menschen“ in den Fokus genommen. Die ausgestellten Werke verdeutlichen einerseits, worin sich diese Künstler in der Darstellung des Menschen von der älteren Künstlergeneration unterscheiden, andererseits werden gemeinsame Stilmittel in der Umsetzung dieses Bildmotivs herausgearbeitet. Zudem wird Albrecht Dürer als Protagonist und Begründer eines mathematisch-naturwissenschaftlich konstruierten Menschenbildes den Zeitgenossen Altdorfer, Huber, Meister IP und Leinberger gegenübergestellt. Im Gegensatz zu Dürers genau proportionierten Körpern erscheinen die Figuren der anderen Künstler extrem dynamisiert, die menschliche Anatomie ist oftmals nicht naturgetreu gestaltet. Ihre Kunst wird durch den Einsatz ausdrucksstärkster Farbigkeit und Formgebung bestimmt. Mit Werken von Wolf Huber, wie seinem Gemälde Gefangennahme Christi (nach 1522) oder seinem Annenaltar (1521), wird hier auch der zweite zentrale Künstler des Donauraumes eingeführt. Zudem wird in diesem Kapitel neben Hans Leinberger der Monogrammist IP mit dem Hauptteil seines Johannesretabels (1520er-Jahre) als einer der bedeutendsten Vertreter der Bildhauerei im 16. Jahrhundert präsentiert.

Im Abschnitt „Schräge Ansichten bei Kreuzigungen und anderen Passionsszenen" wird die Expressivität der Kunst dieser Zeit anhand verschiedener religiöser Motive veranschaulicht. Besonders mit Blick auf die Bildthemen Kreuzigung und Kreuzabnahme finden sich im Werk Altdorfers, Hubers, des Meisters IP und Leinbergers expressive Mittel wie Ornamentalisierung, Dramatisierung oder Verzerrung des Dargestellten. Mit dem frühesten Gemälde Lucas Cranachs d. Ä., der sogenannten Schottenkreuzigung (um 1500), wird ein weiterer Künstler vorgestellt, der Anfang des 16. Jahrhunderts im Donauraum tätig war. Die Darstellung des Themas bei Cranach hebt sich von anderen Spielarten dieses Motivs insbesondere durch ihre Drastik ab. Seine schräg ins Bild gestellten Kreuze sollten später häufig von anderen Künstlern übernommen werden. Leinberger vereint all diese Phänomene in seinen Flachreliefs der Kreuzigung, der Kreuzabnahme und der Beweinung (um 1515/16). Der Meister IP ist in dieser Sektion mit der vollplastischen Kreuzigungsgruppe des Johannesretabels der Teynkirche (1520er-Jahre) vertreten. Huber verlegt in seinem Blatt Große Landschaft mit einer Stadt (um 1525) das eigentliche Bildthema der Kreuzigung als Marginalie in den Hintergrund und gibt stattdessen der Landschaft Raum zur Entfaltung.

Das Ausstellungskapitel „Landschaft als Ausdrucksträger" verdeutlicht anhand von markanten Beispielen, dass Landschaft und die sie gestaltenden Bildkomponenten in der Kunst um 1500 nicht mehr nur als bloße Kulisse der eigentlichen Darstellung, sondern erstmals zum Bildgegenstand und Thema selbst werden. Bedrohliche Gewitterhimmel oder lyrische Sonnenuntergänge unterstreichen Ausdruck und Stimmung der meist menschenleeren Szenerie, die Vegetation entwickelt in vielen Kunstwerken ein geheimnisvolles Eigenleben. So zeigen beispielsweise Altdorfer oder sein jüngerer Bruder Erhard mit ihren Federzeichnungen Weiden und Fichten, die nicht wie statische Bäume, sondern wie unheimlich belebte Wesen wirken.

Die folgende Sektion, „Mittel des Expressiven", widmet sich eingehend den verschiedenen Ausdrucksformen in der Kunst der Zeit. Anhand von bewusster Deformation, Ornamentalisierung, Dramatisierung und Verzerrung sowie durch Linienführung, Lichtgestaltung, Farbigkeit und Pathos unterlaufen die Künstler traditionelle Seherwartungen und präsentieren die dargestellten Figuren in einer neuen, unerwarteten und oft geradezu modern wirkenden Weise. Eine extreme Steigerung der Bildwirkung erreicht beispielsweise Altdorfer in seinem Gemälde Geburt Christi (um 1511) durch den Einsatz der Farbe und die Gestaltung des Lichts. Eine enorme Verzerrung und Verformung zeigt die Figur des Heiligen Abtes (um 1520/30) eines niederbayerischen Künstlers. Der menschliche Körper wird von der neuen Künstlergeneration als „Gestaltungsmasse“ begriffen, die abseits von etablierten Idealvorstellungen modelliert werden kann.

Der abschließende Teil der Ausstellung widmet sich dem Thema „Künstler und Auftraggeber". Dabei wird die Rolle der Auftraggeber von Kunstwerken bei der Ausprägung dieses neuen Stils in den Blick genommen. Mit dem Gebetbuch Kaiser Maximilians I. (1514/1515) aus der Bibliothèque Municipale in Besançon rückt abermals die Bedeutung Dürers und seine Funktion als Reibungsfläche, aber auch als Inspirations- und Ausgangspunkt für die Vertreter des neuen Stils in den Fokus. Die jüngst gewonnenen Erkenntnisse zu den Financiers und Auftraggebern von großen Skulpturenensembles der vor allem für böhmische Kirchen geschaffenen Retabel und Epitaphien lassen zudem die besonderen Produktionsbedingungen und -mechanismen dieser zum Teil monumentalen Auftragswerke erkennen.

Die im Rahmen der Ausstellung ausführlich behandelten Themen und neu gewonnenen Erkenntnisse bieten einen umfassenden und frischen Blick auf das einzigartige Phänomen des Expressiven in der Kunst um 1500.

FANTASTISCHE WELTEN. ALBRECHT ALTDORFER UND DAS EXPRESSIVE IN DER KUNST UM 1500

Kuratoren: Dr. Stefan Roller (Liebieghaus Skulpturensammlung), Prof. Dr. Jochen Sander (Städel Museum)
Ausstellungsdauer: 5. November 2014 bis 8. Februar 2015
Pressevorbesichtigung: Dienstag, 4. November 2014, 11.00 Uhr

Information: www.staedelmuseum.de, info@staedelmuseum.de, Telefon +49(0)69-605098-0, Fax +49(0)69-605098-111
Besucherdienst: +49(0)69-605098-232, besucherdienst@staedelmuseum.de
Ort: Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main
Öffnungszeiten: Di, Mi, Sa und So 10.00–18.00 Uhr, Do und Fr 10.00–21.00 Uhr
Sonderöffnungszeiten: 24.12.2014 geschlossen, 25.12. und 26.12.2014 10.00–18.00 Uhr, 31.12.2014 geschlossen, 1.1.2015 11.00–18.00 Uhr.
Eintritt: 12 Euro, ermäßigt 10 Euro, Familienkarte 20 Euro; samstags, sonn- und feiertags 14 Euro, ermäßigt 12 Euro, Familienkarte 24 Euro; freier Eintritt für Kinder bis zu 12 Jahren; Gruppen ab 10 Personen: ermäßigter Eintrittspreis pro Person. Für Gruppen ist vorab eine Anmeldung erforderlich.
Kartenvorverkauf unter: tickets.staedelmuseum.de

Katalog: Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher, von Stefan Roller und Jochen Sander herausgegebener Katalog. Mit einem Vorwort von Max Hollein und Beiträgen von Daniela Bohde, Katrin Dyballa, Markus Hörsch, Susanne Jaeger, Guido Messling, Jochen Sander und Matthias Weniger. Deutsche Ausgabe, ca. 290 Seiten, Hirmer Verlag, 34,90 Euro (Museumsausgabe).
Begleitheft: Zur Ausstellung erscheint ein 36-seitiges Begleitheft (ab 12 Jahren), 7,50 Euro, im Klassensatz für Schulen 1 Euro pro Heft.
Social Media: Das Städel Museum kommuniziert die Ausstellung in den sozialen Medien mit den Hashtags #FantastischeWelten und #staedel.
Überblicksführungen durch die Ausstellung: Donnerstags 19.00 Uhr, samstags 11.00 Uhr, sonntags 15.00 Uhr. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt. Tickets: 4 Euro zzgl. des Eintrittspreises, erhältlich ab zwei Stunden vor Führungsbeginn, samstags ab 10.00 Uhr an der Städel Kasse.
Sonderführungen auf Anfrage unter: +49(0)69-605098-200; info@staedelmuseum.de

Gefördert durch: Kulturfonds Frankfurt RheinMain, Sparkassen-Finanzgruppe
Mit Unterstützung von: Art Mentor Foundation Lucerne
Medienpartner: Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main, Weltkunst

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