GESCHENK DES STÄDELSCHEN MUSEUMS-VEREINS: STÄDEL ERHÄLT ZUM JUBILÄUM BEDEUTENDE WERKE VON GUIDO RENI UND EDGAR DEGAS
GUIDO RENI (1575–1642), HIMMELFAHRT MARIENS, UM 1596/97; EDGAR DEGAS (1834–1917), STUDIE EINES AKTES (ÉTUDE DE NU), UM 1888–1892
Mit zwei außergewöhnlichen Neuzugängen startet das 1815 gegründete Städel Museum in sein Jubiläumsjahr: Das Frankfurter Museum erhält das um 1596/97 entstandene Gemälde Himmelfahrt Mariens von Guido Reni (1575–1642) sowie die kostbare Zeichnung Studie eines Aktes (Étude de Nu) (um 1888–1892) von Edgar Degas (1834–1917). Beide Arbeiten kommen als besondere Geburtstagsgeschenke des Städelschen Museums-Vereins ans Haus. Die Ankaufsmittel für Renis Himmelfahrt wurden vollständig durch eine erfolgreiche Spendenkampagne und das außerordentliche Engagement zahlreicher Mitglieder des 1899 gegründeten Vereins akquiriert. Der Erwerb der Degas-Zeichnung wurde durch eine großzügige Einzelspende einer Mäzenin ermöglicht.
Renis Himmelfahrt Mariens schließt in der Altmeister-Sammlung des Städel eine Lücke im Bereich der italienischen Malerei des Frühbarock. Die auf Kupfer gemalte Preziose zählt zu den wenigen erhaltenen Frühwerken Renis, dem für die Entwicklung der Barockmalerei in Bologna und Rom eine Schlüsselrolle zukommt und dessen Œuvre die allgemeine Vorstellung des italienischen Barock bis heute nachhaltig prägt. Degas’ Studie eines Aktes (Étude de Nu) stammt aus der letzten Schaffensphase des Künstlers und ist ein bedeutender Meilenstein auf dem Weg in die Kunst der Moderne des 20. Jahrhunderts. Die Arbeit stellt eine wertvolle Erweiterung für den Bestand französischer Zeichnungen des 19. Jahrhunderts in der Graphischen Sammlung des Städel Museums dar.
„Die kontinuierliche Erweiterung der Städelschen Sammlung ist eines der Hauptziele unseres Vereins. Seit Bestehen hat der 1899 gegründete Museums-Verein schon über 1.000 Ankäufe namhafter Kunstwerke ermöglicht. Wir sind sehr stolz und glücklich, dass es uns nun – dank der außergewöhnlichen Unterstützung zahlreicher Mitglieder – gelungen ist, dem Städel zum 200. Geburtstag diesen großen Wunsch zu erfüllen“, kommentiert Sylvia von Metzler, Vorsitzende des Städelschen Museums-Vereins.
„Die Entwicklung der Sammlung des Städel baut seit 200 Jahren auf dem mäzenatischen Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger auf. Die beiden jüngsten Erwerbungen sind nicht nur hochkarätige Zugänge für unsere Sammlung und maßgeblichen Werke der europäischen Kunstgeschichte, sondern zugleich ein eindrucksvolles Zeichen des gelebten Mäzenatentums. Der Städelsche Museums-Verein und seine Mitglieder sind so aktiv wie nie zuvor – ich empfinde dafür allergrößte Hochachtung und Dankbarkeit“, freut sich Städel-Direktor Max Hollein.
Während die Spendenkampagne zum Erwerb des Gemäldes von Guido Reni auf die großzügige Unterstützung von Fritz und Waltraud Mayer, Ibeth Biermann, Dieter und Ingrid Seydler sowie zahlreiche weitere Groß- und Kleinspenden von Vereinsmitgliedern und fördernden Institutionen zählen konnte, wurde die Degas-Zeichnung durch eine Einzelspende einer Frankfurter Mäzenin ermöglicht. Das Gesamtvolumen beider Ankäufe beträgt rund zwei Millionen Euro.
GUIDO RENI (1575–1642)
HIMMELFAHRT MARIENS, UM 1596/97
ÖL AUF KUPFER, 58 X 44,4 CM
Guido Reni galt im 17. Jahrhundert als einer der erfolgreichsten und gefeiertsten europäischen Maler. Seine Kunst war bei namhaften Auftraggebern aus Adel und Klerus äußerst begehrt. Insbesondere hat Renis künstlerischer Einfluss Spuren in der religiösen Bildwelt der europäischen Malerei hinterlassen, die er über die Epoche des Barock hinaus grundlegend verändert und geprägt hat.
Renis um 1596/97 entstandenes Gemälde zeigt in der Bildmitte Maria. Sie ist von Engeln umgeben und in den kanonischen Farben gemalt – mit rotem Gewand, blauem Mantel und weißem Schleier. Maria schwebt auf einem immateriellen Thron aus Wolken, die Arme weit ausgebreitet, den Blick in der für Reni typischen Weise verklärt zum Himmel emporgerichtet. In der Kunstgeschichte wird diese Art der Darstellung als der „himmelnde Blick“ bezeichnet. Er sollte in den folgenden Jahren zu Renis Markenzeichen werden.
Ein goldenes Strahlen erfüllt den Bildraum. Der himmlische Charakter des Lichtes deutet auf Gottvater hin, der Maria in den Himmel aufnehmen wird. Einen Ausgangspunkt für Renis Komposition stellten insbesondere die beiden großen Altarbilder der Himmelfahrt Mariens (1592–1594) von Annibale Carracci (1560–1609) und seinem Bruder Agostino Carracci (1557–1602) dar, die heute in der Pinacoteca Nazionale zu Bologna verwahrt werden. Diese entstanden wenige Jahre vor Renis Bild und lieferten motivische Anregungen für die mit ausgebreiteten Armen auf dem Wolkenthron sitzende Maria und die sie umgebenden Engel. Reni interpretiert das Bildthema jedoch grundlegend anders und revolutioniert dabei die Darstellungsweise des Motivs. Das an der Hochrenaissance, vor allem am späten Raffael geschulte Pathos der dramatischen Auffahrt Mariens übersetzt Reni in ein sanftes Emporschweben voll poetischer Harmonie und in einen klaren, an geometrischen Formen ausgerichteten Bildaufbau. So bilden die drei Hauptfiguren, Maria und die beiden großen Engel im Vordergrund, ein gleichschenkliges Dreieck. Die später in der Barockmalerei bevorzugten, in sich kreisenden Ovalkompositionen scheinen in Renis Werk bereits vorweggenommen. In der Art seiner Gestaltung verkörpert das Bild die Epochenwende vom späten Manierismus zum Frühbarock.
„Renis Himmelfahrt Mariens ist ein Meister- und Schlüsselwerk des italienischen Barock. Im Städel wird es nach mehr als vier Jahrhunderten in Privatbesitz nun erstmals in seiner Geschichte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht“, freut sich Bastian Eclercy, Sammlungsleiter für italienische, französische und spanische Malerei bis 1800 am Städel Museum.
Die Provenienz des Bildes lässt sich lückenlos bis in die Lebenszeit des Künstlers zurückverfolgen. Bereits sein früher Biograf Carlo Cesare Malvasia (1616–1693) bezeugte 1678 unter den frühesten Gemälden Renis eine auf Kupfer gemalte Himmelfahrt Mariens in der Sammlung Sampieri in Bologna, die mit dem Städel-Gemälde identisch sein muss. Auftraggeber dürfte der Jurist Astorre di Vincenzo Sampieri gewesen sein, der als Kanoniker des Doms San Pietro in Bologna tätig war und eine bedeutende Kunstsammlung besaß. Über Jahrhunderte in der Familie weitervererbt, gelangte das Gemälde 1811 in die Sammlung von Eugène de Beauharnais, dem Vizekönig Napoleons und späteren Herzog von Leuchtenberg. In München wurde die hochkarätige Sammlung Leuchtenberg 1851 von Johann David Passavant (1787–1861) katalogisiert und erstmals im Kupferstich reproduziert. 1917 erwarb der Stockholmer Händler Nordiska das Werk; von dort gelangte es ab 1925 in die Sammlung von Rudolph Poeschel, wo es bis 1961 bezeugt ist. Noch im selben Jahr ging die Himmelfahrt Mariens durch Versteigerung in Schweizer Privatbesitz über. 2013 schließlich erwarb sie der Londoner Altmeisterhändler Jean-Luc Baroni auf einer Auktion bei Koller in Zürich, um sie 2014 an den Städelschen Museums-Verein zu verkaufen. Mit der Erwerbung der Himmelfahrt Mariens kann das Städel nun durch ein weiteres bedeutendes Werk der Schlüsselstellung Italiens in der Geschichte der Barockmalerei gerecht werden. Einen Anknüpfungspunkt für das neu erworbene Meisterwerk im großen Italiener-Saal des Städel bietet ein etwas später entstandenes Gemälde Renis, Christus an der Geißelsäule (1604). Bezüge gibt es auch zum jüngsten Neuzugang bei den Alten Meistern, Jusepe de Riberas Heiligem Jakobus dem Älteren, der einer Schenkung der Mäzenin Dagmar Westberg zu verdanken ist. Durch diese glückliche Koinzidenz ist das Städel nun erstmals in der Lage, die beiden maßgeblichen Wurzeln der europäischen Barockmalerei an zwei Spitzenwerken vor Augen zu führen: Riberas Jakobus steht dabei für die Schule Caravaggios, Renis frühe Himmelfahrt Mariens hingegen für die Akademie der Carracci und die Reform der Malerei um 1600.
EDGAR DEGAS (1834–1917)
STUDIE EINES AKTES (ÉTUDE DE NU), UM 1888–1892
KOHLE UND PASTELLKREIDE AUF PAPIER, 55,8 X 36,8 CM
Edgar Degas zählt zu den bedeutendsten französischen Künstlern im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Weltberühmt für seine Porträts, Ballett- und Jockeyszenen, für badende und ihr Haar kämmende Frauen, gilt der 1834 in Paris geborene Künstler als ein Vorreiter der Moderne. In der für das Städel Museum erworbenen Zeichnung wählt Degas für die Darstellung seines Bildmotivs eine Nahsicht auf den weiblichen Körper, stellt sein Modell dabei jedoch nicht zur Schau. Vielmehr führt er mit seiner Studie die für seine Kunst typische Qualität einer distanzierten Darstellung an ihre Grenzen. Ihm gelingt ein besonderes Zusammenspiel von respektvoller Beobachtung und sinnlicher Auffassung. Von diesem späten Akt des Künstlers geht unausweichlich der Eindruck plastischer Präsenz und geballter Energie aus. Degas nimmt seinem Akt dabei jegliche Individualität und gewinnt aus der Form eine unmittelbare Ausdruckskraft von klassischem Rang. „Edgar Degas wiederholte immer wieder bestimmte Schlüsselthemen. Seine Vorgehensweise kann man als einen Prozess der steten Intensivierung seiner künstlerischen Erfahrungen bezeichnen. Die in die Jahre um 1888 bis 1892 zu datierende Aktzeichnung verweist den Betrachter sowohl auf seine Gemälde als auch auf seine plastische Arbeit und kann so für den ganzen Degas stehen“, sagt Jutta Schütt, Leiterin der Graphischen Sammlung ab 1750 am Städel Museum.
Das Werk ist mit dem Stempel des Degas-Nachlasses („Lugt 658“) versehen. Es befand sich bis zum Tod des Künstlers 1917 in seinem Atelier und wurde auf der Auktion des künstlerischen Nachlasses im Jahr 1918 versteigert. Danach befand es sich abwechselnd in Privatsammlungen und im Kunsthandel in Belgien, New York (1949), London und Kalifornien (seit 1981). Die Graphische Sammlung des Städel Museums verfügt über einen kleinen, jedoch höchst qualitätvollen Bestand französischer Zeichnungen des 19. Jahrhunderts, der zu den besten in Deutschland zählt. Edgar Degas war bislang mit der frühen Zeichnung Bildnis der Madame Gaujelin (1867) und der Monotypie Repos sur le lit (um 1876/77) vertreten. Die Neuerwerbung ist in Kürze zu den regulären Öffnungszeiten des Studiensaals der Graphischen Sammlung für interessierte Besucher zugänglich.
DER STÄDELSCHE MUSEUMS-VEREIN
Der Städelsche Museums-Verein, durch den beide Ankäufe realisiert werden konnten, fördert seit 1899 die Museen. In ihm engagieren sich über 7.600 Mitglieder für das Städel Museum und darüber hinaus auch für die Liebieghaus Skulpturensammlung. Zu den zentralen Aufgaben des Städelschen Museums-Vereins zählt der kontinuierliche Ausbau der Sammlungen durch den Ankauf von Kunstwerken. Seit seiner Gründung konnten durch den Verein bereits über 1.000 Werke für das Städel erworben werden.
200 JAHRE STÄDEL
Mit der Niederschrift seines Testaments legte Johann Friedrich Städel im Jahr 1815 den Grundstein für Deutschlands älteste bürgerliche Museumsstiftung. Dieser geschichtsträchtige Tag jährt sich am 15. März 2015 zum 200. Mal. Das Städel feiert sein Jubiläum das ganze Jahr hindurch mit einer Vielzahl von hochkarätigen Ausstellungs- und Forschungsprojekten, zahlreichen bedeutenden Erwerbungen und Sammlungserweiterungen, einem großen Bürgerfest sowie einem massiven Ausbau seines Vermittlungsprogrammes, besonders im digitalen Bereich.
Städel Museum
Information: www.staedelmuseum.de, info@staedelmuseum.de,
Telefon +49(0)69-605098-0, Fax +49(0)69-605098-111
Besucherdienst: +49(0)69-605098-232, besucherdienst@staedelmuseum.de
Ort: Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main
Öffnungszeiten des Museums: Di, Mi, Sa und So 10.00–18.00 Uhr, Do und Fr 10.00–21.00 Uhr
Öffnungszeiten der Graphischen Sammlung: Mi 14.00–17.00 Uhr, Do 14.00–19.00 Uhr,
Fr 14.00–17.00 Uhr