Vom 13. September 2017 bis 14. Januar 2018 zeigt das Frankfurter Städel Museum zwei herausragende Protagonisten der Klassischen Moderne erstmals gemeinsam in Deutschland: Henri Matisse (1869–1954) und Pierre Bonnard (1867–1947). Im Mittelpunkt der Sonderausstellung „Matisse – Bonnard. ‚Es lebe die Malerei!‘“ steht die über 40 Jahre andauernde Künstlerfreundschaft der beiden französischen Maler. Beide setzten sich intensiv mit den gleichen künstlerischen Sujets auseinander: Interieur, Stillleben, Landschaft und besonders auch mit dem weiblichen Akt. Anhand von rund 120 Gemälden, Plastiken, Zeichnungen und Grafiken eröffnet die Schau einen Dialog zwischen Matisse und Bonnard und bietet damit neue Perspektiven auf die Entwicklung der europäischen Avantgarde vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Bereichert wird die Werkauswahl durch eine Reihe von Fotografien Henri Cartier-Bressons, der die beiden Maler 1944 in ihren Landhäusern an der französischen Riviera besuchte.
Für die groß angelegte Ausstellung konnte das Städel Museum eine Vielzahl hochkarätiger Leihgaben aus international bedeutenden Sammlungen gewinnen, darunter das Art Institute of Chicago, die Tate Modern in London, das Museum of Modern Art in New York, das Centre Pompidou und das Musée d’Orsay in Paris, die Eremitage in Sankt Petersburg sowie die National Gallery of Art in Washington. Zudem zeigt die Werkschau zahlreiche Hauptwerke aus Privatsammlungen, die der Öffentlichkeit sonst nicht zugänglich sind. Besondere Höhepunkte sind dabei die beiden Gemälde, die die Künstler jeweils voneinander besaßen und die hier in Frankfurt zum ersten Mal gemeinsam gezeigt werden: Pierre Bonnards Abend im Wohnzimmer (1907, Privatbesitz) und Henri Matisse’ Das offene Fenster (1911, Privatbesitz). Ein weiteres Highlight der Ausstellung ist Matisse’ 1935 entstandenes Hauptwerk Großer liegender Akt, das zum ersten Mal seit über 30 Jahren wieder in Deutschland zu sehen ist und vom Baltimore Museum of Art ausgeliehen wird. Der längst zur Ikone gewordene Akt war ein Meilenstein auf dem Weg des Künstlers zu einer Ästhetik stark reduzierter Formen und stellt seine Atelierassistentin und zugleich sein letztes bedeutendes Modell, Lydia Delectorskaya, dar. Gut möglich, dass das Gemälde von Bonnards kompositorisch eng verwandtem Werk Liegender Akt auf weißblau kariertem Grund (um 1909) inspiriert wurde, welches sich seit 1988 in der Sammlung des Städel Museums befindet. Die Gegenüberstellung dieser beiden Bilder war ein wichtiger Impuls zur Vorbereitung der Ausstellung.
Der Sponsor-Partner der Schau ist die global tätige Bank Société Générale. Gefördert wird die Ausstellung vom Städelschen Museums-Verein e.V. Zusätzliche Unterstützung leistet die Georg und Franziska Speyer’sche Hochschulstiftung.
„Henri Matisse und Pierre Bonnard sind in unserer Sammlung mit zwei großartigen Gemälden vertreten: einem Akt von Bonnard und einem Stillleben von Matisse. Darauf aufbauend eröffnet unser diesjähriges Ausstellungshighlight ein visuelles Wechselspiel zwischen den Künstlern, deren gegenseitiger Einfluss bei vergleichender Betrachtung unverkennbar zum Vorschein kommt. Die Schau reiht sich ein in die erfolgreichen Präsentationen im Städel, mit denen wir unserem Publikum einzigartige Meisterwerke zeigen und dabei immer auch einen neuen und frischen Blick auf die Protagonisten der Moderne werfen“, so Städel Direktor Philipp Demandt.
Kuratiert haben die Ausstellung Felix Krämer, der ab Oktober die Stelle als Generaldirektor am Museum Kunstpalast in Düsseldorf antreten wird, und Ko-Kurator Daniel Zamani (Städel Museum). „Nach der Ausstellung ‚Monet und die Geburt des Impressionismus‘ (2015) widmet sich das Städel Museum erneut einem spannenden Kapitel der französischen Kunstgeschichte, der über 40 Jahre andauernden Freundschaft zwischen Henri Matisse und Pierre Bonnard“, erläutert Felix Krämer. „Die Ausstellung ermöglicht es, den kreativen Dialog der beiden Ausnahmekünstler nachzuvollziehen. Es ist lange her, dass so viele Hauptwerke dieser bedeutenden Maler in Deutschland zu sehen waren.“ Daniel Zamani führt aus: „Beide Künstler entwickelten eine unverwechselbar individuelle Formsprache, die von einem unablässigen Arbeitseifer und einer lebenslangen Experimentierfreude angetrieben wurde. Bereits zu Lebzeiten zählten Matisse und Bonnard zu den bedeutendsten Wegbereitern der Moderne. Gerade bei Bonnard entfaltet sich die Faszination für seine Werke dabei erst vollständig bei der Begegnung mit dem Original. Allein dafür lohnt sich ein Besuch hier im Städel.“
Der Titel der Ausstellung, „Es lebe die Malerei!“, beruht auf dem programmatischen Ausruf, mit dem Matisse seinen Freund Bonnard am 13. August 1925 grüßte. Die wenigen Worte auf einer Postkarte aus Amsterdam waren der Beginn eines über 20-jährigen Briefwechsels, der von tiefer gegenseitiger Wertschätzung zeugt. Beide verlegten ihren Lebensmittelpunkt aus der Kunstmetropole Paris an die Côte d’Azur und behaupteten von dort ihren Ruf als führende Protagonisten der europäischen Kunstszene. ln der Malereigeschichte werden die Kollegen trotz ihrer markanten zeitlichen Nähe oft zwei entgegengesetzten Strömungen zugerechnet: Bonnard, mit seinem luftigen, lockeren Pinselduktus und dem Einsatz zarter, flirrender Pastellfarben als letzter großer Erbe des Impressionismus; Matisse, mit seinem Interesse an grellen Farben und flächigen, stark konturierten Bildkompositionen als ein weit ins 20. Jahrhundert weisender Pionier der Abstraktion.
In thematisch orientierten Kapiteln widmet sich die Ausstellung der unterschiedlichen künstlerischen Umsetzung von solch zentralen Sujets wie Interieur, Stillleben, Landschaft und Akt. Dabei soll die gemeinsame Präsentation von Matisse und Bonnard das vergleichende Sehen ermöglichen, einen Raum schaffen, in dem Gemeinsamkeiten und Unterschiede zutage treten – ohne dass dies jedoch in einen Wettstreit mündet. Ein solcher würde dem Verhältnis der beiden Künstler zueinander nicht gerecht. „Wenn ich an Sie denke, denke ich an einen von aller überkommenen ästhetischen Konvention befreiten Geist; dies allein gestattet eine direkte Sicht auf die Natur, das größte Glück, das einem Maler widerfahren kann. Dank Ihnen habe ich ein wenig daran teil“, schrieb Bonnard an Matisse im Januar 1940. Welchen Wert Letzterer wiederum dem Urteil seines Freundes beimaß, dokumentiert ein Brief vom November desselben Jahres: „[I]ch müsste jemanden sehen, und Sie sind es, den ich sehen möchte.“ Mit niemand anderem wollte Matisse über seine Bilder sprechen. Selten haben sich zwei Künstler so gut ergänzt.
Ausstellungsrundgang
Die Ausstellung erstreckt sich über zwei Etagen und orientiert sich an den Sujets Interieur, Landschaft/Natur, Stillleben sowie Frauenbild/Akt. In einem Prolog widmen sich die ersten Räume im Untergeschoss des Ausstellungshauses der Künstlerfreundschaft der beiden Maler, mit Aufnahmen des Fotografen Henri Cartier-Bresson, Selbstporträts und Werken, die die Künstler voneinander besaßen. Die anschließenden Räume behandeln das Thema Interieur, mit einem Schwerpunkt auf dem Motiv des Fensterbildes, in dem der enge Austausch zwischen den beiden Künstlerfreunden eindringlich zum Vorschein kommt. Herausragende Werke sind hier unter anderem Bonnards Gemälde Die Milchschüssel (um 1919) und Das offene Fenster (1925), beide aus der Tate Modern in London, sowie Matisse’ Großes rotes Interieur (1948) – eines seiner letzten ikonischen Werke in Öl, das vom Centre Pompidou in Paris ausgeliehen wird. Der letzte Raum im Untergeschoss ist dem Briefwechsel der beiden Maler gewidmet, den Besucher in Auswahl in einer szenischen Lesung hören sowie digital vollständig einsehen können.
Im Obergeschoss schließt das Thema Landschaft und Natur an, wobei die lebenslange Faszination der beiden Maler für das Licht und die Atmosphäre der französischen Riviera eine besondere Rolle spielt. Ein Highlight der Ausstellung ist in diesem Zusammenhang Bonnards Die sonnige Terrasse (1939–1946, Privatbesitz). Das aufgrund seines extremen Querformats ungewöhnliche Gemälde zeigt im Bildzentrum in leuchtender, fast pinker Farbigkeit eine sich jenseits einer Terrasse erstreckende Gartenlandschaft. Während viele von Bonnards späten Werken direkte Ansichten aus der Umgebung seines Wohnsitzes Le Bosquet zum Thema haben, erinnert das großformatige Werk eher an ein zeitloses Idyll. Matisse war zutiefst beeindruckt, als er das noch unfertige Gemälde im Atelier seines Freundes begutachten konnte. In einem Brief vom Januar 1940 schrieb er ihm: „Ich habe Ihre Arbeit genau in Erinnerung behalten. Nie zuvor habe ich sie als so geschlossen empfunden, und die Dekoration mit der Fläche aus Rosensträuchern sehe ich noch ganz deutlich vor mir, sie gefällt mir sehr.“
Ein weiteres Thema, in dem sich der Dialog zwischen den beiden Malern widerspiegelt, ist das Stillleben. Wie wenige Künstler ihrer Generation blieben Bonnard und Matisse dem über Jahrhunderte tradierten Genre zeit ihres Lebens treu. Aufbauend auf Impulsen von Vorgängern wie Jean Siméon Chardin oder Paul Cézanne forcierten sie die Befreiung der Gattung von der realitätsgetreuen Abbildung von Alltagsgegenständen und nahmen sie als Ausgangspunkt für malerisch radikale Experimente mit Farbe und Form. Zu sehen ist hier unter anderem das Stillleben von Matisse aus dem Städel Museum, Blumen und Keramik (1913) – ein frühes Hauptwerk, das zu den absoluten Publikumslieblingen der Sammlung gehört. Wie ein perfektes Pendant hierzu wirkt der leuchtende Mimosenstrauß (um 1945, Privatbesitz) von Bonnard. Typisch für die oft abstrakt anmutenden Gemälde seines Spätstils, erscheint die Materialität der Farbe selbst als das eigentliche Thema der Komposition, in der die pastos aufgetragenen Nuancen von Gelb und Orange die leuchtenden Blumen mit dem sie umgebenden Interieur verschmelzen lassen.
Bei der Auseinandersetzung mit dem weiblichen Akt entwickelten beide Maler ihr besonderes „Markenzeichen“: Bei Bonnard sind es sinnliche Aktdarstellungen in Bad und Boudoir, bei Matisse verträumte Odalisken, Haremsdamen in exotischem Dekor. In Bonnards Aktdarstellungen steht die Figur seiner Frau Marthe im Vordergrund, die er in über 50 Jahren auf beinahe 400 Gemälden verewigte und selbst nach ihrem Tod weiterhin malte. Immer wieder inszenierte er ihren stets jugendlichen Körper in Badebildern, die von einer traumartigen und häufig befremdlichen Atmosphäre des Rätselhaften durchdrungen sind. Ganz anders die Odaliskendarstellungen von Matisse – Kammerspiele voll flirrender Farbigkeit, in denen er Figur und Raum in Kompositionen lebhafter Ornamentik verzahnt und in denen seine Vision einer Kunst der vollkommenen Harmonie lebhaften Ausdruck fand. Die Ausstellung gibt auch Einblick in den Entstehungsprozess eines Schlüsselwerks von Matisse, Großer liegender Akt. Von Mai bis Oktober 1935 dokumentierte der Künstler mit einer Kamera die Entwicklung dieses Bildes. In den insgesamt 22 Schwarz-Weiß-Fotografien wird sichtbar, wie der Maler wesentliche Elemente der Komposition nach und nach herausgearbeitet hat, indem er sie immer weiter vereinfachte und zunehmend flächiger gestaltete. Das Gemälde gehört zudem zu den allerersten Ölwerken, bei denen Matisse ausgeschnittene Papierstücke als Hilfsmittel verwendete – eine Technik, die für sein spätes Œuvre entscheidend wurde und nach 1948 sein Schaffen an der Leinwand vollständig ablöste. Die vielleicht bekannteste Arbeit, die mithilfe dieser sogenannten Scherenschnitte entstanden ist, ist Matisse’ Künstlerbuch Jazz (1947), das der bunten Welt von Zirkus, Gauklern und Theater gewidmet ist und in der Ausstellung ebenfalls gezeigt wird.
MATISSE – BONNARD. „ES LEBE DIE MALEREI!“
INFORMATIONEN ZUR AUSSTELLUNG
Ausstellungsdauer: 13. September 2017 bis 14. Januar 2018
Kurator: Dr. Felix Krämer (Sammlungsleiter Kunst der Moderne, Städel Museum)
Ko-Kurator: Dr. Daniel Zamani (Wissenschaftlicher Mitarbeiter Kunst der Moderne, Städel Museum)
Information: www.staedelmuseum.de, info@staedelmuseum.de,
Telefon +49(0)69-605098-200, Fax +49(0)69-605098-112
Besucherdienst: Telefon +49(0)69-605098-232, besucherdienst@staedelmuseum.de
Ort: Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main
Öffnungszeiten: Di, Mi, Sa, So + Feiertage 10.00–18.00 Uhr, Do + Fr 10.00–21.00 Uhr, montags geschlossen
Sonderöffnungszeiten: Di, 3.10., Di, 31.10., Mo, 25., Di, 26.12.; Mo, 8.1.18: 10.00–18.00 Uhr; Mo, 1.1.18: 11.00–18.00 Uhr; geschlossen: So, 24.12., So, 31.12.
Eintritt: 14 Euro, ermäßigt 12 Euro; Sa, So, Feiertage: 16 Euro, ermäßigt 14 Euro; Familienkarte 24 Euro; freier Eintritt für Kinder unter 12 Jahren; Gruppen ab 10 regulär zahlenden Personen: ermäßigter Eintrittspreis pro Person. Für Gruppen ist vorab eine frühzeitige Anmeldung unter Telefon +49(0)69-605098-200 oder info@staedelmuseum.de erforderlich.
Kartenvorverkauf unter: tickets.staedelmuseum.de.
Für Mitglieder des Städelschen Museums-Vereins ist der Eintritt in die Sonderausstellung frei.
Überblicksführungen durch die Ausstellung: Di, 15.00 Uhr; Mi, 13.00 Uhr; Do, 18.00 Uhr; Fr, 19.00 Uhr; Sa, 16.00 Uhr und So, 12.00 Uhr. An allen Feiertagen (3.10., 31.10., 25.12, 26.12., 1.1.) sowie am 8.1. finden die Führungen jeweils um 16.00 Uhr statt. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt. Tickets für die Führungen sind für 5 Euro ab zwei Stunden vor Führungsbeginn an der Kasse erhältlich. Im neu eingerichteten Online-Ticketshop ist ein Kontingent an Tickets für Überblickführungen gemeinsam mit dem Eintritt zum Vorteilspreis von 18 Euro erhältlich: tickets.staedelmuseum.de.
Katalog: Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Prestel Verlag mit 240 Seiten und 208 Farbabbildungen. Mit Beiträgen von Dita Amory, Jenny Graser, Margrit Hahnloser-Ingold, Iris Hasler, Felix Krämer, Elena Schroll, Beate Söntgen und Daniel Zamani. Deutsche / englische Ausgabe, 39,90 Euro (Museumsausgabe).
Begleitheft: Zur Ausstellung erscheint ein Begleitheft in deutscher Sprache, 7,50 Euro.
Städel App und Audiotour: Die Audiotour führt in deutscher und englischer Sprache durch die Ausstellung. Die deutsche Audiotour wird von der Schauspielerin Sophie Rois gesprochen und kann bequem von zu Hause auf die Städel App geladen werden. Die Städel App ist kostenfrei im Android und Apple Store verfügbar, der In-App-Kauf für gängige IOS und Android Smartphones kostet 1 Euro: http://www.staedelmuseum.de/de/angebote/staedel-app. Vor Ort im Museum kann der Audioguide zu einem Preis von 4 Euro (7 Euro für zwei Audioguides) ausgeliehen werden. Die Audiotour wird unterstützt von der Georg und Franziska Speyer’schen Hochschulstiftung.
Digitorial: Das Digitorial wird durch die Aventis Foundation ermöglicht. Es ist ab 30. August abrufbar unter matissebonnard.staedelmuseum.de.
Social Media: Das Städel Museum kommuniziert die Ausstellung in den sozialen Medien mit den Hashtags #MatisseBonnard und #Staedel.
Förderer und Partner der Ausstellung
Gefördert durch: Société Générale, Städelscher Museums-Verein e.V.
Mit zusätzlicher Unterstützung von: Georg und Franziska Speyer’sche Hochschulstiftung
Medienpartner: Süddeutsche Zeitung, Media Frankfurt, Deutschlandfunk Kultur, ARTE, WirtschaftsWoche, Verkehrsgesellschaft Frankfurt Main
Kulturpartner: hr2-kultur