Wandtexte

EINFÜHRUNG
Pablo Picasso gilt als Inbegriff des modernen Künstlergenies. Mit unermüdlicher Kreativität und Schaffenskraft bediente er sich scheinbar mühelos aller künstlerischen Gattungen, Techniken und Materialien. Als ausgebildeter Maler eignete er sich im Laufe seines Lebens verschiedene druckgrafische Techniken eigenständig an, erkundete deren Möglichkeiten und fand im Experiment oft neue Lösungen. Die Druckgrafik wurde dabei für ihn ein der Malerei und Skulptur gleichwertiges künstlerisches Ausdrucksmittel.
Die Ausstellung zeigt mit mehr als sechzig Radierungen, Lithografien und Linolschnitten eine Auswahl aus dem Bestand der Graphischen Sammlung des Städel Museums, ergänzt durch einige Leihgaben aus dem Museum Ludwig, Köln, sowie aus Privatbesitz. Den jeweils unterschiedlichen druckgrafischen Verfahren, die immer auch mit Picassos Biografie in Zusammenhang stehen, sind die einzelnen Abschnitte der Ausstellung gewidmet. Sie zeigen die Vielfalt der druckgrafischen Techniken und machen Picassos experimentellen Zugriff augenfällig.

FRÜHWERK
Picasso hatte sich 1904 in Paris niedergelassen. Nun kämpfte der junge Spanier darum, sich in der weltweit führenden Kunstmetropole zu behaupten. Im gleichen Jahr beschäftigte er sich erstmals intensiv mit der Druckgrafik: Er wandte sich neben der Malerei dem klassischen Verfahren der Radierung zu und behandelte Themen, die ihn auch in seinen Gemälden beschäftigten. Szenen der Armut und aus der Zirkuswelt reflektieren das Außenseitertum des Künstlers in der Gesellschaft. Die filigranen Kompositionen sind Belege für Picassos Fähigkeit, intensive Stimmungen mit einfachen Mittel zu gestalten. Zur Zeit ihrer Entstehung wurde nur eine kleine Anzahl an Drucken hergestellt. Erst 1913, nachdem Picasso auf dem Kunstmarkt bereits bekannt geworden war, ließ sein Kunsthändler Ambroise Vollard 14 dieser Platten verstählen (eine Härtung durch einen chemischen Prozess, die mehr Abzüge von hoher Qualität ermöglicht) und veröffentlichte die Drucke als Serie Les Saltimbanques in einer Auflage von 250 Stück. Bereits 1914 erwarb das Städel Museum ein Exemplar dieser Folge.

SUITE VOLLARD
Ab 1930 schuf Picasso in wiederkehrenden Schüben Radierungen, die 1937 auf eine Anzahl von 100 Blatt komplettiert und von seinem Kunsthändler, Ambroise Vollard, als Suite Vollard verlegt wurden. Die Entstehung der Serie ging einher mit einem Einschnitt im Leben Picassos, der Trennung des 50-jährigen Künstlers von seiner Ehefrau Olga Kokhlova und seiner Beziehung zur jungen Marie-Thérèse Walter. Seine Situation verarbeitete er in verschiedenen Themenkreisen der Suite Vollard wie "Der Bildhauer und sein Modell" oder dem "Minotaurus", einem selbst gewählten Alter Ego. Dabei nimmt die Frage nach dem Selbstbild des Künstlers und seinem Verhältnis zum eigenen Schaffen eine zentrale Rolle ein.
Die Begegnung mit dem Pariser Drucker Roger Lacourière Ende 1934 führte dazu, dass Picasso mit verschiedenen neuen Techniken der Radierung, wie der Aquatinta, dem Mezzotinto oder dem Zuckeraussprengverfahren, experimentierte. Ihre malerisch-flächigen Effekte stehen dem grafischen, klaren Lineament der Radierungen kontrastreich gegenüber. Die Ausstellung zeigt aus der Suite Vollard eine exemplarische Auswahl von 23 Blättern, darunter die meisterhafte Mezzotinto-Arbeit Der blinde Minotaurus von einem Mädchen durch die Nacht geführt.

LITHOGRAFIEN
Bereits in den 1920er Jahren hatte Picasso sich kurzzeitig mit der Lithografie beschäftigt. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs weckte die Begegnung mit dem Pariser Drucker Fernand Mourlot erneut sein Interesse für diese druckgrafische Technik. Für über ein Jahrzehnt dominierte sie daraufhin sein grafisches Schaffen. Sehr schnell eignete sich der Künstler den Variantenreichtum des Flachdrucks an und schöpfte ihn in einer Vielzahl von Arbeiten aus. Mit Feder, Pinsel und Kreide erzielte Picasso sowohl linear-grafische als auch malerische Effekte. Dabei experimentierte er mit unüblichen Werkzeugen wie Schaber und Kratzeisen sowie dem Gebrauch unkonventioneller Lösungsmittel zur Vorbereitung des Druckprozesses. Die Kunstdrucker aus Mourlots Werkstatt berichteten mehrfach, wie sehr ihre Fähigkeiten durch Picassos ungewöhnliche Vorgehensweise auf die Probe gestellt sahen. Der Künstler versuchte sich auch in unterschiedlichen Verfahren des Umdrucks und verwendete insbesondere nach seinem Umzug an die Côte d’Azur Ende der 1940er Jahre neben dem herkömmlichen Lithostein auch leichter transportierbare Zinkplatten als Druckstöcke.

LINOLSCHNITTE
1954 lernte Picasso durch Zufall den auf Linolschnitte spezialisierten Drucker Hidalgo Arnéra aus Vallauris kennen. Ihre erste Zusammenarbeit fand anlässlich einiger Plakate für Stierkämpfe statt. In der Folge vertiefte sich der über 70-jährige Künstler in die Technik und verhalf ihr zu einer ungekannten Blüte. Der Linolschnitt erlaubte es Picasso, Bildmotive aus großen, strahlenden Farbflächen zu gestalten, wobei er eigene neue Verfahren entwickelte. Besonders interessierte ihn das Prinzip der „verlorenen Platte“: Hierbei wird eine einzige Druckplatte kontinuierlich weiter beschnitten und die Zwischenzustände werden in verschiedenen Farben auf denselben Bogen Papier übereinander gedruckt. Picassos Linoldrucke sind das Ergebnis höchster Präzision und Konzentration, mit denen der Künstler jeden Arbeitsschritt vorausschauend kalkulieren musste. 1962 schrieb Felix Brunner in seinem Handbuch der Druckgraphik: „Noch vor kurzer Zeit wäre es dem Verfasser schwer gefallen, ein überzeugendes Bespiel eines Linolschnittes zu zeigen. Nun hat aber Pablo Picasso eine ganze Folge schöner, mehrfarbiger Linolschnitte geschaffen[…], die in der Geschichte der Druckgraphik einen wichtigen Platz einnehmen werden.“

TRAUM UND LÜGE FRANCOS
Von 1936 bis 1939 wütete in Spanien der Bürgerkrieg. Portugal, das faschistische Italien und das nationalsozialistische Deutschland unterstützten die Militärs unter der Leitung General Francos im Kampf gegen die demokratisch gewählte, sozialistische Regierung Spaniens.
Nachdem Picasso von der republikanischen Regierung im Herbst 1936 zum ehrenamtlichen Direktor des Museo del Prado in Madrid ernannt worden war, suchte ihn Anfang des Jahres 1937 eine Gruppe spanischer Delegierter in seinem Pariser Atelier auf. In Hinblick auf die im Sommer 1937 stattfindende Pariser Weltausstellung bat sie den berühmten Künstler, einen Beitrag für den spanischen Pavillon zu gestalten. Spontan begann Picasso mit der Arbeit an dem Radierzyklus Traum und Lüge Francos. Seine ursprüngliche Konzeption sah dabei vor, die einzelnen Bildfelder auseinanderzuschneiden und als Postkarten im Pavillon zu verkaufen. Den Auftrag für ein großformatiges Gemälde lehnte Picasso zunächst ab, begann dann jedoch im April mit einigen Skizzen zum Thema „Der Künstler und sein Modell“.
Als am 26. April 1937 die baskische Kleinstadt Gernika durch einen Luftangriff der nationalsozialistischen Legion Condor und des italienischen Corpo Truppe Volontarie dem Erdboden gleichgemacht wurde, ließ Picasso von dieser Idee ab. Unter dem Eindruck der Zerstörung schuf er innerhalb kürzester Zeit sein Monumentalwerk Guernica (Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía).
Nach Vollendung des Gemäldes setzte Picasso seine Arbeit an den beiden Radierplatten von Traum und Lüge Francos fort. Dabei änderte er die Thematik: An die Stelle der grotesken Karikatur des Generals tritt in den letzten Bildfeldern der zweiten Platte die verzweifelte Gestalt einer weinenden Frau und ihres toten Kindes.

Die Arbeit an den beiden Radierplatten von Traum und Lüge Francos erfolgte in zwei Etappen: Am 8. Januar 1937 stellte Picasso die erste Platte in der Technik der Ätzradierung fertig. Nachdem er einige Probeabzüge genommen hatte, überarbeitete er diesen ersten Zustand mit dem Zuckeraussprengverfahren, das die bisher grafische Linienzeichnung flächig ergänzte. Noch am selben Tag legte der Künstler neun Bildfelder auf der zweiten Platte an, füllte am 9. Januar davon jedoch nur fünf Kompartimente szenisch aus und ätzte die Platte. Danach überarbeitete Picasso auch die zweite Platte mit der genannten Aquatintatechnik sowie mithilfe eines Schabers. Erst am 7. Juni setzte der Künstler seine Arbeit an der zweiten Platte fort. An diesem Tag füllte Picasso die vier übriggebliebenen Bildfelder der zweiten Platte und wechselte dabei sein bisheriges Figurenrepertoire. In der Zwischenzeit hatte er das Gemälde Guernica vollendet, in dem er die Schrecken des spanischen Bürgerkrieges verarbeitete. Die beiden Radierungen von Traum und Lüge Francos bedeuten somit zugleich eine Vorbereitung für das Monumentalgemälde als auch eine nachträgliche Reflexion desselben.

BIOGRAFIE
1881 Am 25. Oktober wird Pablo Picasso als Sohn des Malers José Ruiz Blasco und dessen Frau María Picasso López in Málaga geboren.
1896 Aufnahme in die Kunstschule La Lonja, Barcelona, ein Jahr später Wechsel an die Academia San Fernando, Madrid.
1899 Entstehung der ersten Radierung, El Zurdo.
1900 Erste Reise nach Paris in Begleitung von Carlos Casagemas.
1901 Picasso verarbeitet Casagemas‘ Selbstmord in der sogenannten „blauen Periode“, er beginnt mit dem Familiennamen seiner Mutter, „Picasso“, zu signieren. Im Sommer erste Ausstellung in Paris, bei Ambroise Vollard.
1904 Endgültige Übersiedlung nach Paris. Picasso bezieht ein Atelier im „Bateau-Lavoir“, Montmartre. Zum dortigen Freundeskreis zählen unter anderem Juan Gris, Henri Matisse, Marie Laurencin, Max Jacob und Guillaume Apollinaire. Entstehung seiner zweiten Radierung, Le Repas Frugal.
1905 Beginn der „rosa Periode". Radierungen mit Motiven der Zirkuswelt entstehen. Neben der Ätzradierung verwendet Picasso nun auch die Technik der Kaltnadelradierung. Eugène Delâtre fertigt wenige Abzüge der unverstählten Platten an.
1907 Fertigstellung des Gemäldes Les Demoiselles d’Avignon und Beginn der kubistischen Arbeiten.
Picasso erwirbt eine kleine Handpresse, um eigenständig Abzüge seiner Druckplatten herstellen zu können.
1913 Nachdem sich Picassos internationale Anerkennung gefestigt hat, veröffentlicht Ambroise Vollard 14 Radierungen aus den Jahren 1904 bis 1905 als Serie Les Saltimbanques, gedruckt von Louis Fort.
1918 Hochzeit mit Olga Kokhlova, aus der Ehe geht der Sohn Paulo hervor.
1927 Begegnung mit Marie-Thérèse Walter. Erste Radierungen zum Thema „Der Künstler und sein Modell“.
1930 Picasso erwirbt das Schloss Boisgeloup bei Gisors, wo er eine Reihe von Kopfskulpturen in Gips realisiert, denen Marie-Thérèse als Vorlage dient.
Erste Radierungen von Frauenakten der späteren Suite Vollard.
1933 In einem einzigartigen Schaffensdrang entstehen in wenigen Monaten 40 Platten zum Thema „Das Atelier des Bildhauers“, 11 Platten zum „Minotaurus“ und 5 Platten zum Motiv der „Vergewaltigung“ der Suite Vollard.
1934 Beginn der Zusammenarbeit mit Roger Lacourière, der Picasso in das Zuckeraussprengverfahren und die Arbeit mit dem Stichel einführt.
1935 Picasso und Olga trennen sich. Marie-Thérèse bringt die gemeinsame Tochter Maya zur Welt.
1937 Abschluss der Suite Vollard mit drei Porträts des Verlegers.
Ab dem 8. Januar arbeitet Picasso an der zweiteiligen Radierung Traum und Lüge Francos, die er nach Vollendung seines Monumentalwerks Guernica am 7. Juni abschließt.
1945 Im November Beginn einer langjährigen Zusammenarbeit mit dem Lithografen Fernand Mourlot.
1946-1953 Zusammen mit Françoise Gilot und den gemeinsamen Kindern, Claude und Paloma, lebt Picasso größtenteils an der Côte d’Azur. Druckgrafisch beschäftigt er sich mit der Lithografie.
1954 Beginn der Beziehung mit Jacqueline Roque.
Picasso lernt den Drucker Hidalgo Arnéra kennen. Der Linolschnitt beherrscht daraufhin sein druckgrafischen Schaffen bis 1964.
1973 Am 8. April verstirbt Pablo Picasso in Mougins.

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